Verstörend sind dieser Tage zuallererst die Bilder. Niemand hätte gedacht, dass 80 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg und 30 Jahre nach dem Jugoslawienkrieg wieder Menschen in Europa zerfetzt aus Schützengräben kriechen würden, um zu sterben oder weiter zu töten. Niemand hätte gedacht, dass Karin & Co, mit denen wir bei Kinderarzt oder Homöopathin im Warteraum saßen, eines Tages im weißen Schamanen-Gewand gegen Staat und Wissenschaft demonstrieren würden. Nicht, weil es um Zwangssterilisation sondern weil es um eine Impfung geht. Karin, wo warst du als unschuldige Menschen in den sicheren Tod abgeschoben wurden? Und wo wart ihr letzten Freitag, als es um
unser aller Zukunft ging? Verstörend ist zuallererst das unerwartete, unglaubliche, das massive Störgeräusch, das uns aus der Routine kippt, auf die wir uns bislang verlassen konnten. Verstörung ist die Katastrophe vor dem Vertrauensverlust, die Grenze zwischen Ahnung und Gewissheit, wenn alles erstens ganz anders kommt und zweitens eben als man glaubt.
Es wäre nicht die schreibkraft, würde sie nun nach Texten zum Ukrainekrieg und zu Corona suchen. Wir greifen das omnipräsente Gefühl der Verstörung auf, spüren ihm nach und suchen nach dem überzeitlichen Potenzial des Begriffs wie des Phänomens. Wir suchen Texte über Störsender und -geräusche, über gestörte Wahrnehmung und wahnhafte Verstörung, über sexuelle und kulinarische Grenzen und deren Erfahrung, über die Unmöglichkeit, Störer in der Werbung zu übersehen und krasse Dummheit in Politik oder Finanzbuchhaltung, über Verstörung bei Thomas Bernhard, Michel Houellebecp, Marquis de Sade und ihrer Lektüre ... Über Verstörung als Stilmittel in Literatur und Film - womit wir wieder bei den Bildern wären. Verstörung in der Bildenden Kunst ist auch nicht mit Hermann Nitsch gestorben. Somit wir beim Tod wären, der von allen am meisten verstört ...
Broschur
Fadenheftung, 138 Seiten
21 x 21 cm
8 EUR (AT) / 7,80 EUR (DE) / 14 CHF (CH)